Auf Grund lautet der Titel der
Ausstellung mit Arbeiten von Willi-Peter Hummel. Auf Grund wirkt im ersten
Moment sehr präzise. Doch gleich darauf, unversehens, lassen einen die
beiden Wörter auch schon wieder - unausweichlich und kompromisslos - in
grösste Offenheit fallen, in eine Art Bedeutungsentzug. Die
Vernissagegäste unter Ihnen, die Willi Hummel schon seit geraumer Zeit
kennen, dürften wohl kaum erstaunt darüber sein. Die Titel, die Willi
Hummel jeweils seinen Ausstellungen mit auf den Weg gibt, sind stets
enigmatisch, rätselhaft dabei auf eine ernste und hie und da auch auf eine
geradezu neckisch humorvolle Art. Als ob die Titel ihre Stacheln ausfahren
würden, um deutlich zu machen, dass sich die Werke durch keine festen
Bedeutungszuschreibungen vereinnahmen lassen.
dann und wann lautete der Titel einer Ausstellung, die Willi
Hummel hier im Atelier Alexander vor drei Jahren einrichtete. Andernorts
sorgten Titel wie Capas, Emergenz der Dinge oder Phasenübergänge
für eine anregende Ratlosigkeit.
dann und wann gleicht einem offenen Reservoir voller
Zeitmodulationen. Mit dann und wann geht manchmal, geht zuweilen einher,
dann allein verweist auf ein Hinterher. Man denkt an darauf folgend und
dahinter, aber auch an unter diesen Umständen - ja, sind wir nun schon
wieder bei auf Grund angelangt? Dannzumal kennt das Schweizerische: in
jenem Augenblick. Doch wann, unter weichen Bedingungen, unter welchen
Umständen wird es ein Dannzumal geben? Wohl dann und wann....Die starren
Grenzen verlieren, sie öffnen sich. Auf Grund können wir also auch rein
zeitlich sehen, was die Sache nicht unbedingt leichter macht.
Willi Hummels Schaffen, sein Verständnis von Malerei und Zeichnung, hat
viel mit sinnlicher Kontaktnahme zu tun. Er geht real und metaphorisch auf
Tuchfühlung mit der rohen Leinwand, die zum visuell erfahrbaren
Sprachkörper wird. Dialogfreudig und kommunikationsscheu gleichermassen -
vielleicht könnte man von virtuell abgetasteten, körperlich wirksamen
Sprachgesten im Zuge des Betrachtens sprechen. Berührung in seiner
Vielfältigkeit, Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit ist das Codewort
dieses Schaffens.
Phasenübergänge setzen neue Eigenschaften frei.
Phasenübergänge ereignen sich auf Grund energetischer Zustandsänderungen.
Bei vielen Arbeiten Willi Hummels ist das kreuzartig verstrebte, hölzerne
Chassis durch die Leinwand hindurch sichtbar. Der Spannrahmen für den
textilen Bildträger betont dadurch das Eingespanntsein des Bildgeschehens
in Raum und Zeit. Der Eindruck entsteht, als ob das, was sich auf der
Bildfläche bemerkbar macht, gleichsam ins Netz gegangen sei und sich mit
der aus Vertikalen und Horizontalen gewobenen, durch Unregelmässikgeiten
belebten Leinwand augenblicklich verwoben hätte. Formierte Ladung
gewissermassen, die Spuren in sich birgt, die mit den Strukturen
freigegebener Gefühle zusammenklingen. So wird die malerische Aktion zum
tastend suchenden Akt einer persönlichen Daseinsbefragung.
Willi Hummels Malerei handelt denn auch weniger von einem
expressionistischen Sichausdrücken als vielmehr von einem
reflektiert-emotionalen Sicherfahren. Der Tag für Tag ausgelöste
Transformationsprozess steht im Dienst einer gesteigerten
Wahrnehmungsfähigkeit und eines - bei aller Allgemeingültigkeit - höchst
persönlich ausgetragenen Sichkennenlernens. Darin dürfte mit ein Grund
liegen, dass die (aussenstehenden) Betrachter oftmals erst nach längerer
Zeit verstehen, worum es in dieser gleichermassen intimen wie grundlegend
existenziellen Malerei gehen könnte, dass sie begreifen, dass das oftmals
auf den ersten Blick vermeintlich Unzugängliche gerade Zugänge für jeden
und jede eröffnet. Willi Hummels Malerei bietet flüchtige Passformen für
eine wandelbare Selbstwahrnehmung an. Und dies sinnlich verankert, am
Material orientiert, das er mit Händen und Tüchern aufträgt, das er
berührt, das aber immer auch in immaterieller Form prägend präsent ist...
Auch wenn ich selbst eben von verstehen gesprochen habe, meine ich keinen
vorrangig intellektuellen Zugang, vielmehr soll ein Sicheinlassen auf die
dargebotene Bildaktion angeregt werden. Es gibt keine feste Szenerie in
diesem Schaffen. Vielleicht wären Begriffe wie System oder setting besser
geeignet, um das Ereignishafte hervorzuheben, dieses Gewahrwerden
weitergegebener, übermittelter Kräfte. Die Einladungskarte führt plastisch
vor Augen, was, in Worte gefasst, schnell einmal Gefahr läuft, allzu
wortwörtlich genommen und dadurch missverstanden zu werden. Dennoch will
ich es wagen, denn mein Arbeitsmaterial muss die Sprache bleiben.
Body Extensions oder der <Wunsch nach mehr> hiess eine
Ausstellung, die vor 9 Jahren im Museum Bellerive in Zürich gezeigt wurde.
Human Being Extensions oder der <Wunsch vom Wünschen befreit zu
sein> könnte man vielleicht in freier, geistiger Ausweitung des
Gedankens mit Blick auf Willi Hummels Anliegen formulieren, um etwas von
der menschlichen Sehnsucht einzufangen, sich in Raum und Zeit kampflos
kämpfend, erinnernd erahnend, werdend vergehend zu erleben. Den das
andere, zugespitzt den den Tod im Leben überwindenden Schwebezustand
erreichen wir nie, doch Wünsche im Akt des Malens erfüllend anzugehen,
liegt im Bereich des Möglichen und kommt einer Art gelebter Lebenshaltung
gleich.
Schon öfter ist im Zusammenhang mit Willi Hummels Schaffen darauf
hingewiesen worden, dass er die Malerei metaphorisch mit dem Ritual der
Corrida gleichsetze. Die Leinwand wird symbolisch zur leidenschaftlich
bespielten Arena, was einerseits lustvoll geschieht, was andererseits mit
jeder neuen bildlichen Attacke auch dem Scheitern ausgesetzt ist, dem
Entsagenmüssen. Uneinnehmbarkeit herrscht, Flüchtigkeit. Gleichzeitig ist
eine fast barocke Erlebnisintensität wirksam.
Eine Art Echoraum tut sich auf. Seitlich steht Willi Hummel auf der
Einladungskarte vor einer frontal präsentierten Leinwand. Mit seiner
rechten Hand berührt er die obere Bildkante. Die linke Hand mit ihrem
eingezogenen Daumen ist leicht verschwommen wiedergegeben, in Bewegung
festgehalten, Phasenverschiebung in Aktion gleichsam. Ein Zwischenraum
wird vage umrissen, ein Ort medialer Transformation. Kontakt- und
Distanznahme sind gleichermassen bedeutsam. Willi Hummel scheint im Bild
und ausserhalb des Bildes zu sein. Und da entsteht der Eindruck, als ob
die gezeichneten
Linien den Körper Willi Hummels in seinen Umrissen ergänzen, mit ihm
verschmelzen würden. Handkehrum greifen die Hosenfalten und die linearen
Vertiefungen im Pullover die Unebenheiten der Leinwand beziehungsweise das
Erzeugungspotenzial der gezeichneten Kraftlinien auf. Natürlich soll diese
Beschreibung nicht eins zu eins genommen werden, doch vielleicht hilft
sie, das visuelle Ereignis intensiver mit den transformierenden
Erlebnissen auf einer persönlichen Empfindungsbasis in Beziehung zu
setzen.
Willi Hummels Arbeiten wollen welthaltig im Autobiografischen sein,
aktuell in einer zeitübergreifenden Dimension. Zuweilen ist nur mehr ein
Hauch einer Markierung auf der rohen Leinwand auszumachen. Unermesslich
bleibt im Grunde der Erlebnisraum, der ein Raum physikalischer Kräfte ist.
Willi Hummel liest viel und er ist ein ebenso wacher wie sensibler
Beobachter. Seine Neugier lenkt seine Aufmerksamkeit in die
unterschiedlichsten Gebiete. All dies formt seine Umgebung, Umgebung
verstanden als das, was man als einzelner macht. So könnte man sein
künstlerisches Schaffen vielleicht auch mit einer eigenwilligen Variante
eines Bildungsromans umschreiben. Dessen Lektüre verwebt sich mit
wechselnden Strukturen der Identitätserfahrung. Ein Hin und Her von
Andeutung und Verschlüsselung ist angelegt, von Penetration und Reflexion,
von Motiventzug und malerisch strukturierter Lesbarkeit.
Ich habe die Corrida erwähnt, ich muss noch die Höhlenmalerei erwähnen,
die beide Willi Hummels Umgang mit der eigenen Malerei wie auch den mit
seinen Zeichnungen, Radierungen und Lithografien grundlegend geprägt
haben. Der Sand, der öfter in den Arbeiten Eingang findet, ist in diesem
Kontext als Reminiszenz bedeutsam. Der Sand bringt aber auch eine
spezifische Lichtqualität ein. Schliesslich ist er in seiner Wandelbarkeit
metaphorisch wirksam. Rechtzeitig zur Eröffnung dieser Ausstellung hier im
Atelier von Alexander Breu ist in der von Theo Hurter begründeten und
betreuten Edition SchwarzHandPresse der Band «An der Küste» mit
Originaloffsetlithografien von Willi-Peter Hummel erschienen. An dieser
Stelle möchte ich Theo Hurter für seine verdienstvolle Arbeit gratulieren,
die dieses Wochenende mit der Verleihung des Victor Otto
Stromps-Förderpreises der Landeshauptstadt Mainz geehrt wird, einem Preis,
der herausragende Leistungen in der Kleinverlagsszene würdigt.
Einen Satz des Schriftstellers Theodor Fontane setzt Willi Hummel seinen
Lithografien voraus: «Er lässt sich nieder, und Figuren in den Sand
zeichnend, ziehen die wechselnden Bilder seines Lebens an ihm vorüber.»
Dicht reihen sich die Werke im Lagerraum aneinander. Wie eine sandfarbene
Landschaft erscheinen die sich berührenden, hintereinander gestaffelten
Leinwandkanten. En bloc wirken sie wie ein Energiespeicher - wie ein
virtueller Fels in der Brandung - wie gespeicherte Momente im Fluss der
Zeit. Dann und wann entlockt Willi Hummel seinem künstlerischen Schatz
einzelne Phasenprotokolle, um sie für Sie, meine Damen und Herren, in
einer Ausstellung als Impulsgeber aktiv werden zu lassen. Lassen Sie sich
ein bisschen umgarnen von der Zeit - einen Augenblick lang.
©Sabine Arlitt, Zürich 2013
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