Die Welt, 2. Mai 2001

Ein spätes ernstes Lebensglück
Neu entdeckte Briefe Theodor Fontanes erlauben es, ein neues Kapitel seiner Familiengeschichte zu schreiben

Die Zürcher Fontane-Forscherin Regina Dieterle hat 50 Fontane-Briefe entdeckt, die bislang unbekannt waren und sich in Privatbesitz befinden. Einen Teil dieser Briefe wird sie im kommenden Herbst in dem von ihr herausgegebenen Band „Theodor Fontane und Martha Fontane. Ein Familienbriefnetz" publizieren (Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2002). Die ersten fünf der entdeckten Briefe stellt die Forscherin hier der Öffentlichkeit vor.

VON REGINA DIETERLE
Im Januar 2001 fand ich mich unverhofft vor einem bislang unbekannten kulturellen Schatz. Briefe, Dokumente, Fotografien der Familien Fontane und Fritsch lagen vor mir, die über ein Jahrhundert sorgsam aufbewahrt und gehütet worden sind, da-runter auch 50 Briefe von Theodor Fontane aus den letzten beiden Lebensjahr-zehnten des Dichters. Sie richten sich an Karl Emil Otto Fritsch (1838-1915) und seine zweite Frau Anna Fritsch-Köhne (1858 - 1897). Die neu entdeckte Korres-pondenz Fontanes mit dem Ehepaar Fritsch ist sowohl von literarischer wie biografischer Bedeutung. Sie wird es erlauben, ein neues Kapitel der Fontane'schen Familiengeschichte zu schreiben.
    Der aus Schlesien stammende Architekt Karl Emil Otto Fritsch gründete 1867 in Berlin die „Deutsche Bauzeitung" und blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1900 ihr Redakteur. 1868 verheiratete sich K.E.O. Fritsch mit der damals 21-jährigen Klara Köhne. 1870 kam die Tochter Marie, 1872 die Tochter Annie zur Welt. Die junge Familie scheint sehr glücklich gewesen zu sein. Dieses Glück fand jedoch ein jähes Ende, denn am 7. Dezember 1877 starb Klara Fritsch-Köhne, erst 30-jährig, an einer schweren Krankheit.
    Im Februar 1882 ging Fritsch eine zweite Ehe ein. Die damals 24-jährige Anna Köhne war eine Halbschwester der verstorbenen Klara, eine kapriziöse junge Dame. Wenige Monate nach seiner zweiten Eheschließung ließ sich Fritsch durch den Baumeister Franz Schwechten (1841-1924) bei Fontane einführen. Nun setzte zwischen den Fontanes und den Fritschs ein regelmäßiger gesellschaftlicher Verkehr ein.
    Am 18. April 1886 starb nach kurzer Leidenszeit die kaum 16-jährige Marie Fritsch an einem Herzversagen. Der Vater litt sehr unter diesem Verlust. Möglich, dass die junge Stiefmutter hier nur schwer helfen konnte. Auf jeden Fall wurde die Ehe des ungleichen Paares in den folgenden Jahren schwieriger. Anna Fritsch, die in gewissen Zügen an Fontanes Effi Briest erinnert, suchte wahrscheinlich immer mehr die Zerstreuung. Sie liebte glänzende Diners, war empfänglich für ritterliche Huldigungen und galt als eine Gastgeberin von großer Liebenswürdigkeit. Fontane war ihr sehr zugetan.
    1895 geriet das Ehepaar Fritsch in eine ernste Krise. Zur Überraschung des Gatten wünschte Anna dringend die Scheidung, weil sie einen anderen (verheirate-ten) Mann liebe. Doch dann wurde Anna Fritsch unheilbar krank. Sie starb am   19. November 1897 im Beisein ihres Gatten. Kurz vor ihrem Tod soll sie ge-wünscht haben, dass er sich mit Martha Fontane verbinde. Fritsch liebte Martha damals schon seit längerem.
    Zwei Monate nach dem Tod seiner zweiten Frau war Fritsch mit der bald 38-jährigen Martha Fontane verlobt. Sie selber nannte es „ein spätes, ernstes Lebens-glück". Fritsch löste seinen Haushalt in der Keithstraße 21 auf und bezog eine neue Wohnung in der Elßholzstraße 10, wohin ihm Martha nach der Eheschließung folgen wollte. Die Fontanes blieben all diese Zeit über in brieflichem Kontakt mit dem Freund und Schwiegersohn. Am 15. Juni 1898 schickte ihm Fontane sein neuestes Buch (die Autobiografie „Von Zwanzig bis Dreißig") und einen kleinen Begleitbrief - es sind seine letzten Zeilen an Fritsch. Am 16. September 1898 wurde offiziell Verlobung gefeiert, am 20. September starb der Dichter und Vater der Braut.